Von Tweetups und bitteren Wunden

Nun also auch ich. Nach Monaten der theoretischen Beschäftigung mit der Beziehung von Theater, Kulturjournalismus und digitalen Medien (die Masterarbeit nimmt Gestalt an!) sitze ich selbst mit meinem Smartphone in der Hand auf einem dieser typischen roten Klappsessel und bin Teil eines Tweetups.

Die Klappsessel gehören in diesem Fall zum Berliner Kriminal Theater. Auf dessen Bühne sitzt die US-amerikanische Thriller-Autorin Karin Slaughter und liest aus ihrem kürzlich erschienenen Roman Bittere Wunden. Sie sitzt dort nicht allein. An ihrer Seite: James Bond. Okay, das stimmt nicht ganz, aber einem Geniestreich kommt es gleich, dass Dietmar Wunder nicht nur dem (wohl heißesten) Bond-Darsteller Daniel Craig, sondern an jenem Abend auch den Figuren aus Slaughters aktuellem Werk eine deutsche Stimme verleiht.

Auf den roten Klappsesseln um mich herum sitzen Zuschauer, deren Gesichter ebenfalls vom blauen Schein ihrer Smartphones erleuchtet sind. Wir befinden uns oben auf der Galerie, dort wo wir die anderen unter uns nicht stören. Ein bisschen privilegiert fühle ich mich schon, nicht zuletzt deswegen, weil wir Teilnehmer des Tweetups die Autorin schon vorher hatten treffen dürfen und sich in meinem Exemplar ihres Buches bereits eine hübsche Signatur befindet.

Rote Sessel und blaue Gesichter — eine gute Kombination? (Foto: livekritik.de)

Rote Sessel und blaue Gesichter — eine gute Kombination? (Foto: livekritik.de)

Die Lesung beginnt mit einem Interview. Diesem möchte ich eigentlich in Ruhe lauschen, doch gleichzeitig fühle ich mich verpflichtet das Smartphone zu checken. Anders als in einem Theaterstück, dessen Reize selbstredend auch optischer Natur sind, erfordert dies noch keine allzu komplexen Multitasking-Fähigkeiten von mir. Spannung liegt in der Luft, noch ehe die Schauerlesung begonnen hat. Die augenscheinlich geübten Twitterati um mich herum wittern einen Scoop. Lang mache ich noch nicht bei Twitter mit, doch auch ich habe schon bemerkt: Es gibt Zitate, von denen man (noch bevor sie ganz ausgesprochen sind) weiß, dass sie getwittert werden — oft. Sehr oft. So geschehen mit der Information, dass Karin Slaughter in Country Songs eine Inspirationsquelle für ihre Geschichten hat. In solchen Fällen mutiert das Twittern zu einer Art selbstreferenziellem Sport. Lob und Ehre gebühren dem, der die brisante oder belustigende Information zuerst in den Äther jagt, obschon alle Anwesenden sie mit eigenen Ohren vernehmen können. Dass eine solche Information außerhalb der Veranstaltungsräume plötzliche Relevanz erlangt, kommt vermutlich eher selten vor.

Wenn Wunder liest ist ans Twittern nicht zu denken

Als Karin Slaughter die erste Passage vorliest, lege ich das Smartphone bei Seite. Der Amerikanerin in ihrer Muttersprache zuzuhören erfordert ein besonderes Maß an Konzentration. Um mich herum: nur noch vereinzelte blaue Gesichter, der Rest liegt im Dunkeln verborgen. Als dann Dietmar Wunder zu lesen beginnt, ist ohnehin ans Twittern nicht zu denken.

Es gibt Erfindungen — das habe ich mal irgendwo gelesen —, die eher zufällig entstehen und solche, die aus aus einem ganz bestimmten Bedürfnis heraus geboren werden. Twitter gehöre zur ersten Kategorie und eine sinnstiftende Nutzung dieser Erfindung werde sich erst eine Weile nach deren Entwicklung ausbilden. Viele Stimmen im Web preisen dieser Tage zurecht die fruchtbare Symbiose von Kultur und Twitter. Doch ob das Live-Twittern aus der Vorstellung, Lesung oder der Performance wirklich eine sinnstiftende Nutzung des Mediums ist, bezweifle ich. Vielleicht dort, wo echte Interaktion geschieht und der Zuschauer Einfluss nehmen kann auf das Bühnengeschehen? Wo er als Kollektiv Regie führt? Wo etwa ein Theaterstück schon bei der Erstaufführung den Tod des flüchtigen Moments stirbt und nie mehr in gleicher Weise je von einem Menschen gesehen werden kann, es sei denn als Abziehbildchen-Aufzeichnung bei YouTube? Erste mutige Versuche gab es bereits, unter anderem von Bianca Praetorius und Jeanette Gusko bei der republica 2013. Ich bin gespannt, wie diese Entwicklung weitergeht und wer zuerst auf eine wirklich sinnstiftende Nutzung stößt.

Foto

Von der großen Autorin die besten Wünsche — Tweetup sei Dank. (Foto: Laura Lucas)

Die Interaktion bei der Lesung von Bittere Wunden beschränkte sich indes auf die Interviewsequenzen. Und dies ist keineswegs als Kritik gemeint. Denn, wie sollte es auch anders sein? Schließlich gelten literarische Werke nun einmal (noch) als abgeschlossen, sobald sie von ihrem Autor geschrieben und von einem Verleger verlegt sind. Wir Twitterati hatten stattdessen den Abend über Gelegenheit, Fragen an die Autorin via Twitter zu stellen, die dann auf der Bühne vorgelesen und von Karin Slaughter beantwortet wurden. Genau darin lag der Mehrwert des Abends. Wir erhaschten einen Blick auf die Person hinter dem berühmten Autorennamen und genossen unseren persönlichen Mikroruhm, als unsere Fragen vor aller Ohren und Augen vorgelesen wurden. Das sonst so gigantische und vielleicht sogar nicht mehr zeitgemäße Gefälle zwischen einer Autorin und ihren Lesern war einen Abend lang ganz klein.

Be first to comment