Wer sich gleichermaßen für Theater wie für digitale Themen interessiert, teilt vielleicht den Verdacht: So richtig wollen Theater und Web nicht zueinander passen. Woran könnte das liegen? – fragen sich auch die Kulturfritzen in der Blogparade #TheaterimNetz, an der ich mich mit diesem Beitrag und einigen Gedanken gerne beteilige.
Wie das Theater das Social Web bzw. die Digitalisierung für sich nutzen kann oder soll – darüber wird in den Foyers und Feuilletons hitzig debattiert. Und in den Häusern selbst, so scheint es, werden über diese Frage regelrechte Glaubenskriege ausgefochten. Dabei ist das Thema so vielschichtig, dass man manchmal gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Wie wäre es vorne? Denn was häufig in den Debatten vergessen wird, ist die Tatsache, wie jung die Verbindung von Theater und Internet noch ist. Zur Erinnerung: Der blaue Riese Facebook wurde erst 2004 erfunden. Und der Onlinejournalismus ist gerade einmal in seinen Zwanzigern. Wird vom Theater vielleicht (noch) zu viel erwartet?
Mehr als ein Medienwandel
Die Digitalisierung bedeutet eine regelrechte Zäsur in der Mediengeschichte und ist in ihrem Ausmaß auf Gesellschaft und Kultur vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. Tatsächlich bin ich überzeugt, dass wir uns ihrer Umbruchkräfte erst mit einigen Jahren Entfernung aus der Retrospektive vollends gewahr werden.
Die Geschichte zeigt, dass bei der Entstehung eines neuen Mediums zunächst erprobte Schemata aus alten Medien adaptiert werden. Als das Radio in seinen Kinderschuhen steckte, ähnelte es einer vorgelesenen Zeitung. Und als der Journalismus die ersten Schritte im Internet wagte, da wurden einfach die Print-Artikel eins zu eins online gestellt. Erst später entwickelten sich spannende, genuine Web-Formate. Und dieser Prozess ist noch lange nicht zu Ende. Auch das Theater ist ein Medium und muss seinerseits den Umgang mit der Digitalisierung noch lernen. Also sollten wir ihm Zeit geben. Das gilt sowohl für die Bereiche PR und Marketing wie für den Einsatz digitaler Stilmittel in der Inszenierung.
Digital Won’t Kill The Theatre Star
Nehmen wir z.B. den Livestream, über den noch immer viel diskutiert wird. Dieser tut nichts anderes als eine Vorstellung im Netz abzubilden. Für mich ist das die Theaterversion des ersten wackligen Gehversuchs, wie wir ihn in ähnlicher Form bereits im Journalismus und in der Musikbranche erlebt haben. Und als einen solchen ersten Gehversuch sollten auch die konservativen Digitalskeptiker dieses Experiment verstehen.
Dass der Livestream den tatsächlichen Theaterbesuch eines Tages ersetzt, glaube ich nicht. Um die Zeitung (aus Papier) mag es zwar schlecht bestellt sein. Und die Digitalisierung hebelt tatsächlich so manches medienwissenschaftliche „Gesetz“ aus. Dennoch bin ich überzeugt, dass kein neues Medium ein bereits etabliertes Medium verdrängt, SOLANGE es nicht dessen Kernleistung in besserer Weise inkludiert. Jeder Theaterenthusiast, der schon einmal einen Livestream angeschaut hat, weiß, dass diese Sorge unberechtigt ist. Der eine oder andere hat vielleicht aber auch schon einmal das euphorische Gefühl verspürt, das sich einstellt, wenn man Zeuge etwas nie Dagewesenen wird, etwas Frischem, etwas, das dem Geist zu tun gibt, weil es nicht erlernt ist. Und genau darum geht es eigentlich. Hier kann die Digitalisierung das Theater reicher machen, neue narrative Formen schaffen. Wie genial wäre bitte eine Inszenierung, in der VR-Brillen genutzt werden. Oder der Einsatz von Augmented Reality in der Dramaturgie. Hat das schon einmal jemand gemacht? Warum nicht?
Abwehr als Reflex
Es scheint, als sei es nicht nur die Angst vor dem Unbekannten, sondern auch der normative Kulturbegriff, der hier eine Rolle spielt. Das Theater ist meinem Empfinden nach stärker als die Literatur oder bildende Kunst durch ihn geprägt. Doch die E-Kultur ist eine, die sich über Ausschluss definiert. Über Kriterien und Regeln. Ein Gefühl der Überlegenheit. In dieser Denkschule muss die Schauspielkunst vor der Digitalisierung geschützt werden und ist der Einsatz von Social Media in Dramaturgie und Öffentlichkeitsarbeit ein Zeichen der kulturellen Verrohung. Der Reflex: Abwehr.
Und das ist sogar verständlich. Denn im Netz erodieren bekannte Maßstäbe. Das Altbewährte, die „schönere“ Kultur, droht zu vergehen. Die Digitalisierung verpasst der ohnehin schon angezählten Differenzierung zwischen E- und U-Kultur den Todesstoß. Der Soziologe Gerhard Schulze dazu:
„Im Internet vollendet sich nun geradezu galoppierend die Erosion der alten Schemata der Kunstwahrnehmung und Kunstkommunikation, ein Verfall, der sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereits andeutete. Distinktion, Kritikerpäpste, Kunstgeschwätz und Kanon werden hier ebenso unwesentlich wie die Genregrenzen, die dem Lehrplan der Gymnasien entsprechend festlegen, was zur Kunst gehört und was nicht: Mozart ja, Lady Gaga nein; Don Carlos ja, YouTube nein; Thomas Mann ja, Hape Kerkeling nein. (…) Die digitale Öffentlichkeit hat das Kunstspiel hinter sich gelassen. Damit verbindet sich eine Einebnung in zweierlei Hinsicht: eine Egalisierung der Werke und eine Demokratisierung der Rezipienten.“
Im Netz gibt es folglich keine Rangunterschiede und keine allgemeingültigen Wertigkeiten mehr. Jeder kann alles einstellen und alles finden, jeder kann jeden beurteilen. Wieder Schulze: „Im User vereinen sich alle klassischen Rollenträger des Kunstspiels: der Kreative, der Rezipient, der Kritiker und der Gegenkritiker.“ Mit dieser Pull-Kultur, wie z.B. Carsten Winter sie nennt, geht tatsächlich ein Verlust von Orientierung einher. Und die Theater? Befinden sich – auch wenn sie es nicht wollen – inmitten eines riesigen Marktes der Aufmerksamkeiten und Beziehungen wieder. Die Kunstvermittlung wird damit ebenso wichtig, wie die Kunst selbst. Im besten Fall IST sie selbst Kunst – und findet somit ihr Publikum.
Noch gibt es für dieses moderne, narrative Theatermarketing weder die Strukturen, noch die Strategien. Social Media z.B. bleibt Nebensache oder wird missbräuchlich zum Verlautbaren genutzt. Es fehlt die Lust am Experiment, das ehrliche Interesse an der Audience. Hoffen wir, dass die Theater nicht dieselbe lethargische Duckhaltung einnehmen, wie einst die Zeitungsverlage. Ein bisschen Zeit haben sie ja noch.
Literatur:
Schulze, Gerhard: Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0. Kunst und Publikum im digitalen Zeitalter. In: Wagner, Bernd (für das Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft; Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2011, Band 11, Thema: Digitalisierung und Internet, Klartext Verlag, Essen, 2011, S. 27-39.
Beitragsbild: unsplash.com
Ute Vogel
Danke für diesen Beitrag.
Ist es nicht erstaunlich, dass ausgerechnet bei den Theatern die Lust zu diesem Experiment fehlt?
Und ja, es droht Demokratisierung. Das gefällt der sogenannten Hochkultur nicht. Oder zumindest Teilen davon.
Die Diskussion um die Livestreams ist sicher kein Kernaspekt des Themas und wurde schon so oft geführt. Es ist ein nettes Add-on. Schließlich werden seit Jahrzehnten auch Theateraufführungen im Fernsehen gezeigt. OK, live hat noch mal eine andere Note, aber es ist auch ein Zielgruppenthema. Für die Alten, die nicht mehr mobil sind und für die Jungen, eine evtl. neue Zielgruppe. Und eine Möglichkeit über den lokalen oder regionalen Standort hinauszureichen. Und der Second Screen ist auch nicht zu unterschätzen. (Siehe Tatort)
Laura
Liebe Ute,
danke dir für deinen Kommentar. Ja, es ist schon auf eine Art erstaunlich. Aber ich schätze, die Verunsicherung ist nach wie vor groß und der Wandel vollzieht sich in den unterschiedlichen Branchen unterschiedlich schnell. Früher oder später aber müssen selbst die dicken Kulturtanker aktiv werden (und manch gutes Beispiel gibt es ja auch schon.) Ich bin jedenfalls gespannt ob der Dinge, die da noch kommen.
Liebe Grüße
Laura
Tanja Praske
Liebe Laura,
ein klasse Beitrag! @mikelbower hat mich im Kommentar meines aktuellen Posts „Kreatives Banalisieren“ auf deinen Post zu #TheaterimNetz gebracht.
Du greifst hier wesentliche Punkte auf, die auch in der Museumswelt immer wieder zur Disposition stehen, wenn es um den Einsatz von digitalen Formaten für die Kulturvermittlung geht. Hier wird auch immer wieder die Aura des Objekts angesprochen. Tatsächlich funktionieren alte Kommunikationsmittel im Web nicht mehr und das bereitet einigen, leider immer noch vielen in der Kultur Angst. Der Verlust der Deutungshoheit wird als Gefahr eingestuft und nicht als Chance.
Nur „leider“ lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen, sondern die Entwicklung schreitet rasant voran und über die ewig-Gestrigen hinweg. Ob sie es wollen oder nicht.
Da gefällt mir das Angebot #Carmenundich von der Theaterakademie August Everding sehr: http://blog.theaterakademie.de/post/news/wir-suchen-dich-fuer-carmenundich.html
Merci Laura!
Herzlich,
Tanja
Laura
Liebe Tanja,
vielen lieben Dank dir für deinen Kommentar. Ein spannender Post, genau wie die Debatte darunter 🙂
„Der Verlust der Deutungshoheit wird als Gefahr eingestuft“ – das hast du sehr schön gesagt. Tatsächlich aber liegt die wahre Gefahr (wie wir schon ahnen) darin, sich der Digitalisierung und ihren Demokratisierungseffekten zu verschließen. Wer das tut, droht unsichtbar, gar irrelevant zu werden. Ich denke, dass zukünftig die Legitimationsfrage an z.B. staatlich subventionierte Theater immer schärfer gestellt wird. Spätestens dann geht es (wie schon heute bei vielen Verlagen) ums nackte Überleben.
Danke dir auch für den Link! Ich freue mich immer über solche Projekte und Experimente. Schade nur, dass München von Berlin so weit weg ist 😉
Liebe Grüße
Laura