Jede Bühne ist eine ganze Welt

Alles nur Theater? So lautete das Thema einer Blogparade, zu der das Theater Heilbronn aufgerufen hatte. Blogger in der gesamten Bundesrepublik und darüber hinaus waren eingeladen zu schildern, was ihnen Theater bedeutet. „Jede Bühne ist eine ganze Welt“ lautet mein Beitrag zur Parade und es ist der Grund, weshalb ich Theater liebe.

„All the world’s a stage“, lautet eine vielzitierte Passage aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“. Die Welt also ist Schauplatz für die zahlreichen Stücke, die wir Leben nennen. Wir selbst sind Schauspieler und sind uns mehr oder minder über unsere Rollen und unser Publikum bewusst. Viel Wahrheit liegt in dieser Idee.

„Every stage’s a world“, könnte man auch sagen und es liegt genauso viel Wahrheit darin. Für mich ist es der Grund weshalb ich Theater liebe. Ich genieße die Vorfreude, wenn der Saal noch beleuchtet ist und die vielen Stimmen in den Rängen sich in einem freudigen Lärmen überschlagen. Ich schmunzele, wenn die plötzliche Dunkelheit zu Beginn des Stücks das Lärmen erstickt oder wenn bei jedem Black die krampfhaft zurückgehaltenen Huster ihren Weg nach draußen finden. Schon diese Momente bilden eine ganze Welt ab. Sie zeigen mir, mit wem ich lebe, wer mag, was auch ich mag und wer mit mir gemeinsam die Welt Theater betritt. Gemeinschaftlich begeben wir uns auf eine Reise, erwarten mit Spannung das Geschehen auf der Bühne. Wird es uns gefallen?

Das Theater legt den Finger in die Wunde, ohne dass es weh tut

Ein jedes Theaterstück eröffnet mir fremde Welten, selbst wenn es meine eigenen sind. Theaterstücke vollbringen das Kunststück, Identifikation und Distanz zugleich zu bieten. Im Theater, da wird uns ein Spiegel vorgehalten, ohne dass wir beleidigt sind, die Augen geöffnet, ohne dass wir uns schämen müssen. Das Theater legt den Finger in die Wunde, ohne dass es weh tut. Ein kleines bisschen höchstens, innen drin. Wir können um die Welt und durch die Zeit reisen und bleiben doch in der selben Stadt, dürfen ungeniert durchs Schlüsselloch unserer Nachbarn blicken, ohne Furcht ertappt zu werden.

Muttersprache Mameloschn (Foto: Arno Declair)

Ein Grund ins Theater zu gehen: Muttersprache Mameloschn (Foto: Arno Declair)

Vor nicht allzu langer Zeit sah ich Marianna Salzmanns „Muttersprache Mameloschn“ im Deutschen Theater Berlin. Kein anderes Stück hat mich zuvor so nachhaltig beeindruckt. Ich habe die Liebe, die in Text und Inszenierung steckt, förmlich spüren können, habe selten so viel sprachlichen Witz erlebt, gnadenlos und doch sensibel zugleich. Ich vergaß die Welt um mich herum und gab mich vollends der Welt der drei Frauen vor meinen Augen hin. Drei Frauen, drei Generationen und drei Welten, wie sie doch näher einander nicht sein können und doch soweit entfernt. In den Mutter-Tochter-Konflikten entdeckte ich eigene Welten und spürte echte Emotionen, obwohl das da vor mir doch „nur“ Theater war. An nur einem Abend gelang es, mir das Thema Antisemitismus näher zu bringen, als zahlreiche Schulstunden es konnten, zumal über drei Generationen erzählt und nicht, wie allzu häufig, auf das sog. Dritte Reich reduziert, als sei es das einzige Unrecht. Jede Bühne ist eine ganze Welt. Mir fiele kein Grund ein, nicht ins Theater zu gehen.

 

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