In der Theaterszene tobt seit einiger Zeit ein Streit über schwarz angemalte Schauspieler auf der Bühne.
„Die Kunst, auch die schlechte, ist frei“ titelt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger und trifft damit in der Rassismus-Debatte den Nagel auf den Kopf.
Was von der einen Seite als simples Theatermittel betrachtet wird, wertet die andere Seite als unübersehbaren Bezug auf die eindeutig rassistisch motivierten Minstrel Shows im Amerika des 19. Jahrhunderts. Ich tue mich schwer damit, den bloßen Einsatz von Theaterschminke als rassistischen Akt zu bewerten. Doch kann ich als blonde Mitteleuropäerin, in Berlin lebend, überhaupt beurteilen, was Rassismus ist? Vermutlich nicht. Aber als Kulturwissenschaftlerin kann und muss ich die Kultur verteidigen, wenn wieder einmal medienwirksam die Moralkeule geschwungen wird.
Zensur des moralisierenden Mainstreams
Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, sagte kürzlich im Interview mit dem Tip: „Es gibt eine Zensur des moralisierenden Mainstreams, die gerade immer stärker wird und die gefährlich für die Freiheit der Kunst ist.“ Einer wie Castorf traut sich das. Schicker wäre es vermutlich ins Horn derer zu blasen, die empört nach einer Strafnorm rufen. Kritik ist gut und wichtig. Klug geführte Debatten ebenfalls. Der Kunst den strafrechtlichen Maulkorb anzulegen wäre hingegen fatal.
Völlig zurecht weist Alexandra Kedves auf die im Artikel 5 des Grundgesetzes verankerte Meinungsäußerungs-, Presse- und Kunst-Freiheit hin. Grenzen findet diese Norm dort, wo die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt werden. In dieser Art ist sie eine der stärksten und klügsten Normen, die unsere Verfassung kennt. Persönlichkeitsrechte jedoch können nur persönlich geltend gemacht werden. Nur dort, wo eine Person in ihren Rechten massiv eingeschränkt wird, dürfen wir die Kunst, eine der stärksten Waffen der Demokratie, vorsichtig beschneiden. Alles andere ist Zensur.
Verbote führen zu mehr Gegenwehr, Interesse und Trotz
Konflikte wie diese sind nicht durch eine Strafnorm zu lösen, sondern einzig und allein im öffentlichen Diskurs. So verhält es sich unter anderem mit der NPD. Ein Verbot würde zu mehr Gegenwehr führen, zu mehr Interesse und Trotz. Unsere Verfassung jedoch ist stark genug, sich gegen Angriffe von innen zu wehren. Ein Verbot von unangenehmen Meinungen, und seien sie in den Augen einer Mehrheit noch so verwerflich, falsch oder hanebüchen, führt unser Grundgesetz ad absurdum.
Für diesen öffentlichen Diskurs ist kaum ein Ort so geeignet, wie das Theater. Tobias Becker bringt dies in seinem Artikel über verschiedene NSU-Theaterstücke auf den Punkt: „Nach den NSU-Morden verlangt die Gesellschaft nach Gerechtigkeit. Dafür ist das Gericht zuständig. Aber die Gesellschaft verlangt auch nach Erklärungen. Die kann das Gericht vermutlich nicht liefern – Beate Zschäpe schweigt – und der Journalismus kann es auch nicht. Das Theater kann. Vielleicht. Denn das Theater kann psychologisieren, kann spekulieren, kann fiktionalisieren. Es kann in der Fiktion der Realität auf die Schliche kommen.“
Die Literatur kennt den Unterschied zwischen Autor und Erzähler. Was der Erzähler oder eine andere Romanfigur denkt, fühlt, sagt oder tut muss mitnichten zwingend der Einstellung des Autors entsprechen. Gleiches muss für Dramatiker und Regisseure gelten. Sie brauchen Mittel zum Ausdruck. Sie brauchen Freiheit.