Kümmert euch!

Care-Arbeit, also berufliche und auch private Tätigkeiten wie Pflege, sich kümmern und Sorge tragen, ist nicht nur ungerecht zwischen den Geschlechtern verteilt. Sie ist – wenn überhaupt – auch schlecht bezahlt und wird gesellschaftlich abgewertet. Ein Missstand, der durch die Finanzkrise noch verstärkt wurde. Das feministische Künstlerinnen-Kollektiv Swoosh Lieu widmet mit „Who Cares?!“ (z.Dt.: „Wen kümmert’s?“ aber auch „Wer kümmert sich?“) Care-Arbeiterinnen einen Performance-Abend, der den Stückemarkt des diesjährigen Berliner Theatertreffens eröffnete.

Marlene Dietrich war keine Feministin. Zumindest gegen den Begriff wehrte sie sich. „Bleiben Sie mir von der Hacke mit diesem Gewäsch von Emanzipation“, soll sie gesagt haben. Vielleicht hätte die legendäre Sängerin und Schauspielerin auch den Begriff gender binary kopfschüttelnd abgetan. Ihr weltberühmter Auftritt mit Zylinder, Smoking und Zigarette in „Marokko“ in den 1930er Jahren war jedoch genau das: ein lustvolles Spiel mit der Geschlechterzweiteilung. Ihre progressive Art, sich männlich konnotierte Kleidungsstücke anzueignen, machte Marlene Dietrich zu einer Stilikone – und die Hose für alle Frauen tragbar.

Ebenfalls eine Ikone, wenn auch der ganz anderen Art, ist die heilige Jungfrau Maria. Und das Konterfei von Rosie the Riveter – jener fiktiven Figur mit rotem Kopftuch, Overall und selbstbewusst gerecktem Bizeps, die während des Zweiten Weltkrieges weibliche Arbeitskräfte für die US-Rüstungsindustrie werben sollte – ist heute weltweit Symbolbild für die berufliche Emanzipierung der Frau. Auf diesem Gebiet konnten durchaus schon Erfolge erzielt werden. So beweist nicht zuletzt Cat Woman, dass der Job des Superhelden längst nicht mehr nur den Männern vorbehalten ist. Doch was ist eigentlich mit all den Heldinnen, die im Verborgenen kämpfen? Den Pflegerinnen etwa oder den Erzieherinnen, Assistenzgeberinnen, Sexarbeiterinnen und alleinerziehenden Müttern?

Den Großteil der Care-Arbeit leisten Frauen

Das feministische Performance-Kollektiv Swoosh Lieu beraumt mit „Who Cares?!“ eine „vielstimmige Personalversammlung der Sorgetragenden“ ein, an der neben den genannten Ikonen auch große Frauen der Theatergeschichte und reale Care-Arbeiterinnen teilnehmen. „Who Cares?!“ ist Teil einer geplanten Trilogie über die Folgen der Finanzkrise und eröffnete in diesem Jahr den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Personalmangel, der Zwang zur Effizienz und prekäre Löhne sorgen für Druck im Care-Sektor. Den Großteil der Sorgearbeit – übrigens sowohl im professionellen wie auch im privaten Bereich – leisten Frauen. Diese Kopplung von Sorgetätigkeit an Geschlechtlichkeit aufzuzeigen und zu dekonstruieren ist das erklärte Ziel des Kollektivs um Johanna Castell, Katharina Kellermann und Rosa Wernecke.

Ausgestattet mit Kopfhörern betreten die Zuschauer die Seitenbühne des Festspielhauses. Der Publikumsrang ist verhangen, die Bühne selbst erscheint als schwarzer, rechteckiger Raum. Auf dem Boden befindet sich ein großer Stapel Tischtücher und Laken. Weitere Laken sind auf Leinwände gespannt und wie Gemälde aufgehängt. Auf weißen Sockeln platziert und durch Glaskästen geschützt: die Laptops der Performerinnen. Das Publikum bewegt sich frei im Raum, wie bei einer Ausstellung. Doch über den Voice Guide kommen keine Erklärungen zu den Exponaten. Stattdessen erzählen uns weibliche Stimmen von einem Alltag zwischen Kind und Karriere. Eine Pflegerin erwähnt einen Pausenraum, der jetzt ein Lager ist. Eine Erzieherin berichtet von kranken Kindern, die dennoch in die Kita gebracht werden, weil ihre arbeitenden Mütter Angst vor langen Fehlzeiten haben. Die Stimmen überlappen sich zum Teil. Dazu: eine Art chorales Störgeräusch.

Error. Ich kann meine Arbeit nicht verweigern.

Dann betreten die Performerinnen den Raum: eine Königin mit Besen, eine schwangere Rosie the Riveter, eine Frau im Marlene Dietrich-Look, die heilige Jungfrau Maria und Cat Woman. Vom Museum geht es nun ins Theater. Der Vorhang zum Zuschauerrang fällt und das Publikum nimmt den ihm angestammten Platz ein.

Die Wäsche der anderen

Noch immer tragen die Zuschauer Kopfhörer. Die Stimme von Katharina Speckmann, der Frau im Marlene-Look, wirkt dadurch ganz nah. Während sie liest, hängen „Maria“, „Rosie“ und „die Königin“ Wäsche auf. Es sind die Laken aus der Mitte des Bühnenraums. Doch auch Männershirts sind darunter und kleine Bodys. Es ist gewissermaßen die Wäsche der anderen, um die sich die Sorgearbeitenden kümmern. Später werden die Textilien als Schatten- bzw. Leinwand dienen.

Speckmann hat den Live-Text zu „Who Cares?!“ geschrieben und spricht alle Rollen. Authentische Passagen aus Interviews mit Care-Arbeiterinnen mischen sich darin mit Fiktion und allerlei Referenzen auf Frauen der Theatergeschichte: Emilia, Medea, Elektra, Antigone, Lysistrata und Nora – sie alle sind Teil der Personalversammlung der Sorgetragenden. Die Grenzen sind fließend, die Rollen uneindeutig. Wer spricht: die Pflegerin? Cat Woman? Antigone? Welche Textsorte ist das: O-Ton oder Dichtung?

Stellt euch nur mal für einen Moment vor, dass all die Frauen, die Sorgearbeit machen, bei einem Fingerschnips einfach weg wären von ihrer Stelle, einfach nicht mehr da wären.

Das ist insofern geschickt, als dass die Interviewsequenzen damit in ein anderes Licht gerückt werden und eine besondere Betonung finden. Die ansonsten identitätslosen Care-Arbeiterinnen mittels ihrer Stimmen und Aussagen auf die Bühne zu bringen, ohne sie zu verkörpern, ist zudem eine kluge Reflektion von Theater als Repräsentationsraum. Die Ton- und Lautschnipsel, die an Bruchstücke von Kirchengesängen erinnern, werden immer rhythmischer und gehen mit Katharina Speckmanns Stimme eine spannende Verbindung ein: eine Art meditativer Klangteppich entsteht, der die Zuschauer in seinen Bann zieht.

Auf die Performance schließlich folgt das Kino. Wie eine vierte Wand fährt eine Leinwand hinunter und trennt den Bühnenraum aufs Neue vom Zuschauerrang. Ein utopischer Dokumentarfilm malt ein Bild von einer Zukunft nach der Care-Revolution. Es ist eine Welt ohne Geschlechterbinarität und unfaire Bezahlung, in der Sorgearbeitende die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Eine Welt, in der Pflegen und Kümmern keiner kapitalistischen Wertschöpfung unterliegen.

Wir sind Superheldinnen – Botschaft aus „Who Cares?!" von Swoosh Lieu

Am Ende von „Who Cares!?“ gehen die Zuschauer durch einen Gang mit Botschaften der Sorgetragenden.

Ein bisschen zu viel des Guten ist das: aufzeigen mittels Museum, verhandeln mittels Theater, auflösen mittels Film. Der Abend ist eine Spur zu überfrachtet, was zu Lasten der Wirkung geht. Insbesondere die Schönheit des Textes kommt somit nicht voll zur Geltung. Dennoch ist „Who Cares?!“ ein gutes und vor allem wichtiges Stück. Eines das sagt: Seht her und kümmert euch!

 

Beitragsbild: David Rittershaus

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