Die Männerspielerin — Leben für die Ekstase

Wen soll die Geschichte einer einzelnen Frau interessieren, fragen Sie? Ich sage, die Geschichte einer einzelnen Frau ist nicht anders als die Geschichte einer Million Frauen. Bin ich Nin? Ich bin Nin. Sind wir nicht alle Nin?

Anaïs Nin — Wer ist diese Frau, die das Theaterkollektiv PortFolio Inc. zum Dreh- und Angelpunkt seines neuen Stücks „Die Männerspielerin“ gemacht hat? Die, „die was mit Henry Miller hatte“? Die „mit den Tagebüchern“, „den Sexbüchern“?* Ja, das alles war Nin und doch so viel mehr.

Die Autorin Nin wurde 1903 in Neuilly-sur-Seine geboren und starb 1977 in Los Angeles. Dazwischen lebte sie „für die Ekstase“. Sie schrieb eine Vielzahl von Romanen (ihr bekanntester: „Delta der Venus“), Erzählungen und Briefen. Die meisten dürften sie hingegen für ihre Tagebücher kennen — zusammengetippt auf 15.000 Schreibmaschinenseiten.

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Thomas Georgi und Judica Albrecht überzeugen in „Die Männerspielerin“ auf ganzer Linie. (Foto: PortFolio Inc.)

„Würde Anaïs Nin heute noch leben, wäre sie eine der aktivsten Bloggerinnen überhaupt“, schreibt Marc Lippuner. Gemeinsam mit Michael F. Stoerzer führt er Regie bei „Die Männerspielerin“; als „Kulturfritze“ rief er einen die Inszenierung begleitenden Projektblog ins Leben. „Die Möglichkeiten der Selbstinszenierung, die das Internet (…) bietet, sind unbegrenzt. Diese Entgrenzung, die Selfiekultur in Bild und Wort, (…) spiegelt sich in Nins besessener Art zu schreiben ebenso wie in ihren Texten. Ihre Tagebucheinträge, ihre autobiografischen Erzählungen lassen sich gleichsetzen mit dem Leben, das so viele von uns auf Facebook, Tumblr, Twitter oder Instagram — selbstkuratiert und zum Teil exzessiv — mit anderen teilen.“

Wer bereits Stücke von PortFolio Inc. gesehen hat weiß, dass sich das Kollektiv dem dokumentarischen Theater verschrieben hat. Und so ist auch dieser Abend eine clevere Zusammenführung von autobiografischen Texten der Autorin selbst mit wissenschaftlichen und journalistischen Arbeiten sowie — und das ist neu — Bild- und Wortschnipseln der User aus Sozialen Medien, die sich an der Aktion #IchBinNin beteiligt hatten. Die Szenen, die daraus entstehen, sind rasant. Es fällt schwer zu unterscheiden, was Fiktion ist und was Bericht. Wo das Zitat beginnt und wo es endet. Und das ist gut so. Nur auf diese Art können das analoge Gestern und das digitale Heute, die Welt der Anaïs und unsere, zu einem überzeugenden Ganzen verschmilzen.

Und diese Welten sind einander näher, als man das zunächst denken mag. „Wenn andere von mir die Wahrheit wissen wollten, war ich immer überzeugt, dass sie nicht nach der Wahrheit suchten, sondern nach einer passenden Illusion, um damit zu leben“, schrieb Anaïs Nin einst. Doch dieses Zitat könnte ohne Weiteres auch von Essena O’Neill stammen. Die australische Instagram-Ikone verabschiedete sich 2015 mit erst 18 Jahren tränenreich aus dem Social Media-Business.

Judica Albrechts grandiose Parodie des Clips, der auf YouTube knapp 1,5 Millionen Mal angeklickt wurde, amüsiert das Publikum und gehört zu den Highlights des Abends. Aber Halt! Ist das überhaupt eine Parodie? Wer das Original kennt, muss große Zweifel daran hegen — was Albrechts Monolog nur noch bedeutender für die Inszenierung macht.

Auch Thomas Georgi hat seinen besonderen Moment. Er sorgt mit seinem Otto Rank für regelmäßige Comic Reliefs in dem durchaus auch ernsten Stück. Wenn die Lebefrau Nin den Psychoanalysten mit dem „gedrungenen Dr.-Caligari-Körper“ in die Kunst des Tanzens einführt, ist das ein Fest für die Augen. Nur langsam gewöhnen sich seine Gliedmaßen an die ungekannte Freude. Das ist so herzerweichend und witzig anzusehen, ohne dass Georgi dabei jemals die Grenze zum Slapstick zu überschreiten droht.

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„Ich habe Angst, abermals keine Likes zu bekommen.“ Psychosen 2.0 (Bild: PortFolio Inc.)

Manch einer wird „Die Männerspielerin“ als Social Media-Kritik (miss-)verstehen. Stattdessen aber ist sie ein Plädoyer für die Kunst im Alltag. „Wir können schöpferisch werden in der Ödnis des Lebens oder zusammen mit unseren Nächsten; wir können schöpferisch werden wie Kinder, die plötzlich Gedichte schreiben oder malen, obwohl sie Pinsel und Feder noch kaum halten können. Diese Kreativität (…) ist eine innere Stätte, zu der wir zurückkehren, um unsere Kraft wiederzugewinnen, um unsere Werte wiederzugewinnen, um nicht von den Geschehnissen erdrückt zu werden.“ Man könnte auch sagen: Geht in euch, um aus euch herauszukommen. Und teilt es mit anderen.

Natürlich ist das Aus-sich-Herausgehen, die Selbstinszenierung über die Mittel, die das Internet für uns bereit hält, immer mit dem Risiko verbunden, mit Ignoranz abgestraft zu werden. „Was wenn ich meine Seele offenbare und keiner reagiert?“, fragt auch ein Facebook-gepeinigter Thomas Georgi („Er“) seine Therapeutin Albrecht („Sie“). Aber — und das macht der Abend deutlich — die Motive, die uns zur Selbstinszenierung antreiben sowie die Sorgen, die uns umtreiben, sind dieselben wie vor Social Media. Auch Nin war eine Getriebene. In einer von Männern dominierten Welt der Literatur wünschte sie sich nichts sehnlicher, als als Schriftstellerin anerkannt zu werden. Anerkennung ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Ich zumindest kann daran nichts Verwerfliches finden.

 

*Die Zitate stammen von Usern, die sich an der Aktion #ichbinnin der Kulturfritzen beteiligt hatten.


 

Die Männerspielerin im Theater unterm Dach in Pankow ist wieder zu sehen am 19. und 20. März, 8. und 9. April sowie 7. und 8. Mai 2016.

Bühne: Uri Oppenheim
Kostüme: Stefan Reinberger
Dramaturgie: Madeleine Penny Potganski

 

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